Engagiert, empathisch – Egerer!

22. Juli 2020

39 Jahre an unserer Schule und noch immer steht der Mensch im Vordergrund

Zum Ende dieses so außergewöhnlichen Schuljahres verabschiedet die Helene-Weber-Schule zahlreiche Kolleg*innen, darunter auch verdiente Schul-, Abteilungs- und Bereichsleiterinnen. Da eine gebührende Verabschiedung coronabedingt nicht möglich ist, erfolgt auf unserer Homepage und in den Social-Media-Kanälen unserer Schule eine kleine Interviewreihe, die interessante Einblicke in das abwechslungsreiche Lehrerleben bieten soll, hinter den sonst üblichen sachlichen Informationen aus den sterilen Personalakten.

Den Beginn macht Gudrun Egerer, die sich nach 39 Jahren an unserer Schule, davon 10 wertvolle und erfüllende Jahre in Familienzeit, die sie auch heute wieder nehmen würde, zunächst in ein Sabbat-Jahr und anschließend in die wohlverdiente Pension verabschiedet.

 

Liebe Gudrun, was hat dich einstmals angetrieben, Lehrerin zu werden?

Lehrerin wollte ich nie werden – das war unvorstellbar – meine Schwester hat in unserer Familie den pädagogischen Bereich abgedeckt. Hauswirtschaft war meine Passion und dort war ich dann im Großbetrieb plötzlich für viele Lehrlinge und Praktikantinnen zuständig und habe gemerkt, hallo, das macht Spaß – daher war die Möglichkeit Pädagogik- und Psychologiekenntnisse zu erwerben, die mir damals als junge Hauswirtschaftsleiterin (HWL) bei vielen Mitarbeiterkonflikten gefehlt haben, sehr reizvoll.

 

 

Für welche Themen brennst und branntest du im Unterricht?

Die letzten Jahre, nachdem ich meinen Aufstiegslehrgang so spät noch machen konnte, war dies der gerechte Handel in Ethik, lebensweltbezogener Kompetenz und berufsfachlicher Kompetenz (BFK), schließlich all die hauswirtschaftlichen Themen, verbunden mit diesem Denken, woher kommt die Ware und unter welchen Umständen wird sie hergestellt. Das war in berufspraktischer Kompetenz (BPK) und später auch in BFK der Fall.

Aber auch das Arbeiten im Lehrerteam und dabei Neues zu entwickeln, das auch bei den Schüler*innen ankommt, hat mich stets angespornt, seit langer Zeit zusammen mit Inge Fink-Spöri – Danke an dieser Stelle!

 

Welche (heiteren) Anekdoten fallen dir spontan zu deinem Lehrerdasein ein?

  • Wir machen die ersten Versuche zum Bügelservice und der Strom fehlt plötzlich mit dem Ergebnis, dass der Stromkreis im Klassenzimmer nicht genügend abgesichert war – also fand das Bügeln an der Bügelmaschine halt auf dem Flur statt.
  • Es war der Pädgogische Tag in Sießen, als ich in einer Arbeitsgruppe mit Heike Degen und vermutlich Brigitte Graf-Serr war. Wir hatten irgendeinen Arbeitsauftrag und Heike saß schon am Tisch mit Stift und Papier und krauser Stirn. Ich war erstaunt und auf meine Frage, was sie nun mache – so quasi ohne sich mit uns abzustimmen? – kam von ihrer Seite: So mache ich das immer, ich versuche meine Gedanken strukturiert zu Papier zu bringen, also 1., 2., 3. usw. – ich war total von den Socken, denn ich schöpfe oft aus dem Chaos und den vielen wichtigen Dingen, die zu mir gehören und muss durch Weglassen dann die tatsächlichen Dinge herausfinden. – Das war sowas von eindrücklich, wie unterschiedlich wir doch arbeiten und jeder für sich in seinem System zurecht kommt, aber zusammen dann erst eine neue Ebene gefunden werden muss. Wir haben damals herzlich gelacht und fanden wohl auch schnell ein Ergebnis!
  • Und schließlich eine tückische Situation in unserem Schulhaus: Es gibt die interne Telefon-Nummer 110 für den Raum N005 – tja, und wenn man die 0 vorwählt und ohne Vorwahl komme ich ja in Bad Saulgau auch raus aus unserem Telefonnetz – dann landet man bei der Polizei – das habe ich schon hinbekommen!

 

Warum warst du gerne Lehrerin und Bereichsleiterin im VAB (zuvor BVJ/BEJ)?

Weil ich gesehen habe, dass hier sehr viel pädagogisches Arbeiten möglich ist, ich gemerkt habe, dass die Einzelfallhilfe sinnvoll ist sowie das Arbeiten im Team durch 20 Teilungsstunden meinem Verständnis von Unterricht sehr entspricht und im Stundenplan die organisatorische Struktur zu einem bestimmten Zeitpunkt in diesem Bereich Mangelware war.

 

Was waren deine prägendsten Erlebnisse an der Helene-Weber-Schule?

Der Umzug ins neue Schulhaus (2009), dass ich bei der Planung dabei sein durfte und die genialen Fachräume, von denen wir im Altbau immer geträumt haben. Tja, und nun aktuell Corona – aber zusammen mit einem sehr besonnenen Schulleitungs-Team. Danke!

 

Gab es einen Höhepunkt in Deiner Laufbahn?

Das war die Möglichkeit des Aufstiegslehrgangs – Deutsch passt sehr gut zu mir, ich liebe Literatur und hatte einen genialen Fachleiter, der mit viel Einfühlungsvermögen uns auf diesen Unterricht vorbereitet hat. Ernährungslehre hat sich ja aus der vorherigen Tätigkeit abgeleitet, aber eine wichtige Erkenntnis aus diesem Studium war: Wir wissen immer noch verdammt wenig über Körpervorgänge und unsere Ernährung, hinzu kommt das Dilemma von Werbung und den vielen übergewichtigen Menschen – hier meine ich, haben berufliche Schulen einen großen Auftrag, der aber irgendwie nicht attraktiv erscheint!?!

 

Gab es einen Tiefpunkt in deiner Laufbahn?

Als ich 1981 nach Saulgau versetzt wurde – nach meiner Anwärterzeit an der Edith-Stein-Schule in Ravensburg. Ich konnte mir absolut nicht vorstellen, an so einer kleinen Schule zu unterrichten und tatsächlich war das am Anfang als erste und einzige Technische Lehrkraft (TL) nicht ganz einfach.

 

Inwiefern hat dich das Schulleben persönlich geprägt?

Man kommt heim und ist nie fertig, das fand ich manchmal belastend. Allerdings haben sich mir so viele Möglichkeiten geboten, bis hin zu der Tätigkeit in der Lehrerfortbildung, dass ich keinen Tag missen möchte.

 

Wie stellst du dir unsere Schule in 10 oder 20 Jahren vor?

Hoffentlich mit schnellerem Internet und echt digital – diese Möglichkeit kann uns für den Unterricht viel bieten. 

Aber auch weiterhin so dicht an den Menschen mit solch freundlichem Personal und Service!

 

Vervollständige die Sätze:

 

Wenn ich an Klassenfahrten denke, dann denke ich an die umständliche Fahrt nach Meßkirch mit Bus und Bahn und viel Zeitaufwand.

Aber auch an eine abendliche Bus-Fahrt über die Alb nach Göppingen zu den Theatertagen dort mit der Vorstellung des teatro piccolo aus Stuttgart, die Picassos Werke in Bewegung umgesetzt haben.

 

Wenn ich an Klassenarbeiten denke, dann bin ich immer froh, wenn sie korrigiert sind.

 

Wenn ich an Tagebucheinträge denke, dann erinnere ich mich an eine Schülerin, die vor mir echt einen Veitstanz aufgeführt hat, oder doch eher wie ein Rumpelstilzchen, weil ich ihr meine Grenzen aufgezeigt hatte.

Und an das plötzlich fehlende Tagebuch einer BVJ-Klasse, das schließlich im Sießener Bach aufgefunden wurde.

 

Wenn ich an Kolleg*innen denke, dann denke ich gerne an die Entwicklung des Gastroservices in der 2 BFH – hier haben wir dem Thema Öffentlichkeitsarbeit Rechnung getragen, haben ausprobiert, wie Teamarbeit unter Kollegen aussehen kann und unsere Schüler*innen haben was fürs Leben gelernt. Dank hier an alle Kolleg*innen, die sowieso immer geduldige Kunden und Gäste waren.

Dank an dich Markus, als mein genialer Wunschmentor damals in Deutsch und Dank an alle, die verstanden haben, was mir bei den diversen neuen Projekten, die ich mitentwickeln durfte, wichtig war, nämlich, dass wir unsere Schüler*innen erreichen.

 

Wenn ich an meine Fächer denke, dann bin ich traurig, dass der Stellenwert der Hauswirtschaft mehr und mehr in Schule verschwindet, obwohl das Knowhow dringend in unserer Gesellschaft benötigt wird. So wird beispielsweise in der Kompetenzanalyse jährlich nachgewiesen, dass die Fingerfertigkeit der Schüler*innen nicht ausgeprägt ist.

 

Wenn ich an unsere Schule denke, dann bin ich zufrieden, dass ich sehr geordnet Abschied nehmen kann und wünsche allen Kolleginnen und Kollegen weiterhin solch einen Arbeitsplatz, der so viele Freiheiten bietet.

 

Wenn ich an Erlebnisse mit Schülern denke, fällt mir eine Situation im Erdgeschoss des Altbaus ein, etwa dort, wo heute die Schulsozialarbeit (SSA) und Jungendberufshilfe (JBH) beheimatet sind: Ich war Ende der großen Pause dort unterwegs. Weit und breit kein anderer Kollege.  Ich treffe auf einen großen Pulk von Schülern und großes Geschrei und Radau. Schließlich sehe ich inmitten des Tumultes zwei „Kampfhennen“, die kurz davor sind, aufeinander loszugehen. Einer der „Gaffer“ schreit, das ist ja wie bei … Und ich laut: Ja, und deshalb gehen jetzt alle in ihre Klassenzimmer und wir beenden die Gerichtsverhandlung. – Und tatsächlich, noch heute unglaublich für mich, die beteiligten beiden Klassen zogen augenblicklich ab von der Bühne und ich war allein mit den beiden streitenden Schülerinnen. In nicht allzu weiter Entfernung war ein Stützpunkt. Dort habe ich sie „hineingeschoben“ und im Gespräch wurden dann viele Missverständnisse erkannt und tatsächlich zogen die beiden anschließend händchenhaltend ab. Ab da war mir bewusst, Probleme lassen sich klären. Das war meine Feuertaufe damals!

 

Da ich immer in Klassen unterrichtet habe, die nicht unbedingt auf der Sonnenseite des Lebens stehen, waren konkrete Rückmeldungen von Schüler*innen eher sparsam und mager. Aber manchmal nach Jahren Schüler*innen zu begegnen, die mich dann unvermittelt umarmt haben und glücklich berichten, dass unsere Schule und der Unterricht wichtig für sie waren, da wird unser Unterricht dann echt sinnvoll.

 

Liebe Gudrun, ganz herzlichen Dank für die ausführliche Beantwortung der Interview-Fragen und für das Vervollständigen der Sätze. Wir wünschen dir ganz viel Freude an Deinen drei Enkeltöchtern und drücken die Daumen, dass noch etliche weitere Enkel dazustoßen.

Bleib weiter so energiegeladen, interessiert an Menschen und der Umwelt, humorvoll, mitunter auch selbstironisch, offen und schöpfe die Dinge nun ganz in Ruhe und Gelassenheit aus dem Chaos.

(Das Interview führte BAR)

 

 

 

 

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22. Juli 2020