Menschen an der Schule: Drei Doktortitel an der Helene-Weber-Schule
Womit beschäftigen sich Lehrer/-innen in ihrer Freizeit? Mit sehr vielen unterschiedlichen Dingen und Themen natürlich, manche von ihnen vertiefen ihre fachliche Expertise sogar in Promotionen. So verschieden wie die Fächer, so vielfältig sind auch die Themengebiete von Bettina Späth, Michael Ulrich und Manuel Daiber. Welche Themen in ihren Doktorarbeiten herausgearbeitet wurden, wird im Folgenden skizziert. Ob die Kern-Thesen klar werden, darf der geneigte Leser selbst entscheiden.
Ganz aktuell hat der Mathe- und Physiklehrer Manuel Daiber promoviert. Dabei hat er ein neues Lehrkonzept in der Ausbildung von Realschullehrern für die Quantenphysik (die Quantenmechanik ist eine mathematische Theorie) entwickelt. Um die mathematische Komplexität zu reduzieren, hat Manuel Daiber einen neuen Einstieg auf symbolischer Ebene entwickelt. Aus der Skizze eines Experimentes werden an die entsprechenden Bauteile die In- und Out- Symbole angebracht, wodurch die Abfolge deutlich wird und mit mathematischen Mittel das Ergebnis interpretiert werden kann. Das Ganze funktioniert wie eine Zeichensprache (mit mathematischer Theorie), mit der die fachspezifische Notation grafisch interpretiert wird. Ein Beispiel eines Anwendungsgebietes ist der „Tunneleffekt“ in der Atomphysik. Dieses neue Lehrkonzept wurde in einer explorativen Studie an angehenden Realschullehrer/-innen der PH Karlsruhe, PH Schwäbisch Gmünd und Uni Ulm erprobt.
Die Hochschulen können mit diesem Lehrkonzept nun Studierende ausbilden, die PH Schwäbisch Gmünd wird es definitiv einsetzen. Der Respekt vor dieser Dissertation wird in Anbetracht der weiteren Freizeittätigkeiten noch größer. Während der Promotion war Manuel Daiber mit dem Hausumbau, der eigenen Hochzeit und diversen Ehrenämtern wie Feuerwehrkommandant voll ausgelastet. Schulisch betrachtet befand er sich zunächst im Referendariat, ehe er an der Helene-Weber-Schule Physik und Mathe vollumfänglich unterrichten durfte, was in diesem Schuljahr die Zweitkorrektur des Mathe-Abiturs mit nahezu 50 Schüler/-innen beinhaltete.
Die ganze Bandbreite der Promotionsthemen zeigt sich in der literaturwissenschaftlichen Arbeit von Michael Ulrich. Eine bedeutsame Leistung von Literatur besteht darin, Zukunftsvisionen zu beschreiben.
Die Frage, wie Gesellschaften sich durch und nach Pandemien verändern, ist aktueller denn je. Dieser Thematik, und welche Rolle Religion und Spiritualität dabei spielen, geht Kanadas bekannteste Autorin, Margaret Atwood, in ihrer von 2003 bis 2013 veröffentlichten MaddAddam-Trilogie nach. Wie Religion und Spiritualität zum Wohl der Menschheit eingesetzt werden können, ist ein selten beachteter Aspekt bei der Analyse ihres Werks. Im Roman überleben mit ihrer Hilfe die Helden die Pandemie (Roman „The Year of Flood“ bzw. „Das Jahr der Flut“). In der Endphase der Arbeit an der Dissertation überschnitten sich die reale Corona-Pandemie mit der fiktiven Atwood’schen Pandemie – welch‘ schicksalhafte Fügung. Darüber hat der Englisch-, Reli- und Italienisch-Lehrer Michael Ulrich promoviert, seine zentrale These lautet (sehr verkürzt), dass die Religion, in Verbindung mit Spiritualität, durchaus eine wichtige Funktion infolge gesellschaftlicher Krisen einnimmt, wozu beispielsweise auch die Vermittlung eines anderen Umgangs mit der Natur gehört.
In dem durch die Netflix-Serie bekannt gewordenen Roman The „Handmaid’s Tale“ bzw. „Der Report der Magd“ sieht das ganz anders aus: Dort dient Religion zur brutalen Unterdrückung von Frauen und rechtfertigt diese. Dieser Wandel im Werk der Autorin wurde zeit- und inhaltsintensiv untersucht. Höhepunkte der Zeit als Doktorand war die Teilnahme an wissenschaftlichen Tagungen in Bern, Göttingen und Köln, bei denen Michael Ulrich Teile der Arbeit präsentieren und mit Fachkollegen aus aller Welt diskutieren konnte.
Die Promotion war ein Marathon-Projekt, sie lief neben dem normalen Schulalltag mit vollem Deputat, korrekturintensiven Fächern und dem Familienleben mit Frau und zwei Kindern.
Bereits vor einigen Jahren hat die Biologie-, Chemie- und Pflege-Lehrerin Bettina Späth promoviert. Das Thema ihrer Arbeit ist das Enzym tRNase Z, eine molekulare Schere. Die Kern-Message ihrer Doktorarbeit in kurzen, verständlichen Worten beinhaltet, dass diese Schere tRNA-Moleküle auf die richtige Größe schneidet. Dieser Schneideprozess ist eine lebenswichtige Voraussetzung für die Eiweißproduktion in der Zelle. Dabei gibt es einen Zusammenhang zum Prostatakrebs: Eine Mutation der menschlichen tRNase Z wurde von einer anderen Forschergruppe mit dem Auftreten von Prostatakrebs in Verbindung gebracht. Womöglich hat die tRNase Z doch mehr Aufgaben als „nur“ tRNAs zurechtzuschneiden? Da man am Menschen schlecht forschen kann, hat Bettina Späth u.a. die tRNase Z der Bäckerhefe erforscht.
Zum einen hat sie dabei die Struktur der tRNase Z genauer ins Visier genommen. Sie hat zum Beispiel untersucht, welche Teilabschnitte dieser Schere überhaupt für den Schnitt wichtig sind. Des Weiteren forschte sie an der Frage, ob es noch andere Produkte gibt, die mit dieser Schere geschnitten werden können, um so auf die Spur der weiteren tRNase Z-Funktion zu kommen.
Für ihre Doktorarbeit erhielt Bettina Späth 2008 den Frauen-Förderpreis der Universität Ulm, Chapeau. Ihre Arbeit hat eine erstaunliche Relevanz für die Schule. Die Schüler/-innen im Berufskolleg Gesundheit und Pflege profitieren von Praxisberichten, beispielsweise beim Thema Molekulargenetik. Ansonsten betrifft der Themenbereich gymnasiales Niveau im Bereich der Genetik. Zeitliche Dimensionen für bestimmte Experimente können durch das Praxiswissen von Bettina Späth über das Schulbuchwissen hinaus belegt werden. So kann es manchmal Tage oder auch Wochen dauern, bis ein Vorhaben erfolgreich umgesetzt werden kann.
Hut ab vor den drei Doktoren der Helene-Weber-Schule. Was Manuel Daiber, Michael Ulrich und Bettina Späth erforscht und bearbeitet haben, zeigt auch die Vielfalt der Themen, die stellvertretend durch die unterschiedlichen Fächer und Interessen sowie Schwerpunkte der Lehrkräfte an der Schule repräsentiert werden. Dadurch kann nicht nur das Vorurteil, dass Doktoren nur Ärzte im weißen Kittel sind, aufgehoben werden, auch die Präsenz und Relevanz der allgemeinbildenden Fächer an einer beruflichen Schule wie der Helene-Weber-Schule Bad Saulgau kommt hierdurch deutlich zum Vorschein.
26. Juni 2022