Boys Girls Love Cash

20. Juni 2018

 

Macht doch mal den Selbstversuch – ergänzt einen der nachfolgenden Sätze für das jeweils andere Geschlecht:

„Jungs sind …!“

„Mädchen sind …!“


Sicher mögen Euch einige durchaus wohlwollende Begrifflichkeiten über die Kleinhirnrinde rutschen …

Jungs sind stark, witzig, cool, abenteuerlustig … Mädchen sind lieb, nett, süß, magisch, klamottensüchtig!

Gleichzeitig kreuchen und kriechen aber durchaus unliebsame und weit weniger schmiegsame Wortkaskaden aus den eher dunklen Eingeweiden unseres Bewusstseins …

Jungs sind testosterongesteuert, dumm, egoistisch, not*** … Mädchen sind hinterhältig, zickig und B***es!


Was Ihr gerade erlebt und gemacht habt, stellte den Auftakt zu einem ultraspannenden Performance-Abend dar, dem wir, die J1/2, am 15. März 2018 beiwohnen durften – Jungs und Mädels saßen sich gegenüber und sammelten jeweils getrennt voneinander entsprechende Assoziationen über das geschlechtsspezifische Pendant, welche dann von den Künstlern vorgetragen wurden. Schön zu sehen, wie wenig unser Denken doch von Vorurteilen belastet und korrumpiert ist … es wäre doch echt tragisch, wenn wir hier noch starre und zugleich gänzlich vage Rollenmuster im Kopf hätten! Und an dieser Stelle, als besonderen Bonus für unseren Gastleser Dr. Sheldon Cooper … das  „Sarkasmus!“-Schild!

 

Weiter im heutigen Selbstversuch:

„Du hast 200,- € – was würdest Du damit machen?“

 

Tja … shoppen (wohlgemerkt in München, bekanntlich der einzigen Stadt Deutschland, in der Frau von Welt tatsächlich in angemessener Weise Geld gegen Ware eintauschen kann), partiell den Führerschein finanzieren, den defekten Laptop reparieren lassen … eine wahre Flut von Vorschlägen schwappte über uns, wie man das Geld unter die Leute bringen könnte!

 

Tja … und dann lernen wir Jonas kennen, ein Typ wie ich und Du …

der ein Mädchen zum Essen einlädt, einen sympathischen Abend mit ihr verbringt und am Ende des Abends alleine nach Hause gehen muss …

eine Runde Mitleid mit dem armen Wurm …

oooooohhhhh …

 

bis er erkennt, dass er die 200,- € auch luststeigernd einsetzen kann …

im Bordell – Sex gegen Geld!!!

 

 

Was wir dann mit den Künstlern des „Citizen.Kane.Kollektivs“ erleben durften, war von einer Intensität und Authentizität, die bisweilen schwer zu ertragen war, da man mit einer Welt konfrontiert wurde, von deren Existenz man zwar wusste, deren Ausmaß sowie ihre ungeschönte und ungeschminkte Wahrheit einen dennoch in dem Glauben an die Menschheit zu erschüttern vermochten.

 

Zwei Jahre lang hat das Künstlerkollektiv in Kooperation mit dem JES (Jungen Ensemble Stuttgart) im Milieu recherchiert – es gab Begegnungen mit Betreibern von Bordellen und einschlägigen Webseiten und mit zahlreichen Frauen und Männern, die damit ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen. Das Team ist bis nach Bukarest, der Hauptstadt Rumäniens gereist, um dort die Menschen kennen zu lernen, die hier tätig sind. Und an diesem Abend sind uns diese Menschen auf der Bühne begegnet … bildgewaltig in Videosequenzen und in der Gestalt der Künstler, die von ihren Begegnungen berichtet haben.

 

Wir haben an diesem Abend ein junges Mädchen kennen gelernt, deren Wahlmöglichkeiten sich darin erschöpften, sich entweder zu prostituieren oder sich einen Arm amputieren zu lassen, um als Bettlerin zusätzliche Mitleidpunkte zu erhaschen. Ein Mädchen, das so absurd dies klingen mag, von Glück sprach, da sie wenigstens eine Entscheidung treffen durfte zwischen zwei möglichen Optionen, so lebensverneinend beide auch sein mögen.

 

Wir begegneten der „Lehrerin“, einer 47-jährigen Prostituierten aus Rumänien, die im Verlaufe ihres Lebens, bereits mehrfach misshandelt, mit dem Messer bedroht und vergewaltigt wurde – und die davon erzählt, dass sie nunmehr den Respekt genießt, da sie ihren Mund gehalten und niemanden zur Anzeige gebracht hat.

 

Wir begegneten Männern, die Sex kaufen und dies als Akt der Nächstenliebe verkaufen, denn man(n) gebe doch den Frauen nur die Chance auf ein menschenwürdiges Leben.

 

Wir begegneten Männern, die an dem Geschäft der Prostitution verdienen und dies als Akt der Freiwilligkeit anpreisen, und sich selbst als Coaches, welche dadurch die Persönlichkeitsentwicklung der Frauen zu stärken suchen.

 

Es gab mehrfach Momente, in denen einem der Atem stocke, in denen man zwischen unendlichem Mitleid und schmerzhafter Traurigkeit auf der einen und Wut sowie verstörendem Unverständnis auf der anderen Seite balancierte. Die Worte hörten wir wohl, doch diese in unserer heutigen, jetzigen Welt zu verorten, diese mit ihr zu Verbindung zu bringen war ein sehr erschütternder Prozess.

 

Wusstest Ihr, dass ein Großteil der Frauen, die hier „arbeiten“ müssen, dies keineswegs aus freien Stücke machen???

Wusstest Ihr, dass viele der Frauen, die sich hier prostituieren müssen, aus Rumänien und Bulgarien kommen – Ländern, in denen die Menschen durchschnittlich 400,- € im Monat verdienen und das bei ähnlich hohen Lebenshaltungskosten wie in Deutschland???

Wusstest Ihr, dass viele dieser Frauen regulären Jobs hatten, als Zahnärztin oder Zahntechnikerin – sie jedoch in diesen Ländern nicht davon leben können und daher, da Deutschland die entsprechenden Abschlüsse oftmals nicht anerkennt, gar keine andere Wahl haben, als sich zu prostituieren???

 

Leider gibt es keine verbindlichen Zahlenwerte, aber man geht davon aus, dass …

es 400 000 Frauen gibt, die sich in Deutschland prostituieren!!!

der Jahresumsatz, der mit Prostitution in Deutschland erzielt wird,

bei 14,6 Milliarden € liegt!!!

 

„Wie viel würdest Du für einen Kuss bezahlen?“

 

Nach nahezu zweijähriger Recherche wagte eine der Künstlerinnen, einen spannenden Selbstversuch – im Rahmen eines Kulturevents versteigerte sie einen Kuss, einen intimen Moment, der zwei Menschen gehören und damit ihre Zusammengehörigkeit und Nähe ausdrücken sollte.

Im Rennen … ein betuchter Mitvierziger, der bereit war 200,- € dafür zu löhnen, jedoch den kleinen Makel hatte, dass er die Performerin in keinster Weise ansprach.

Als sie gegen Ende des Events angeboten hat, eben selbigen Kuss nunmehr zu verschenken, verebbte und versandete das Interesse ebben dessen, der ihr zuvor noch den monetären Himmel zu ihren Füßen auszubreiten. Offensichtlich verliert ein freiwilliger Kuss zwischen zwei auf gleicher Ebene befindlichen Menschen für einige seinen Reiz … ach ja … der freiwillige Kuss mit einem ihr sympathischen Mann, war einfach schön!!!

 

Es gibt sie … Theaterstücke, deren Sound noch lange nachhallt, die einen innerlich in Rotation versetzen, so dass man aus seinem Ruhesessel katapultiert und in völlig neue gedankliche Sphären geschleudert wird – die Ehre und dieses Privileg ist uns in dem Stück „Girls Boys Love Cash“ zuteilgeworden.

Daher verneigen wir uns voller Dankbarkeit vor Andreas, Emma, Franziska, Jonas, Jürgen und Simon, dem grandiosen Ensemble, das uns einen völlig neuen Blick in und auf die Welt eröffnet hat – wir hatten die Möglichkeit mit Euch noch lange nach Ende der Vorstellung über das Gesehene, über Eure Erfahrungen und Euch ganz persönlich zu sprechen. Euch begegnen zu dürfen war ein Geschenk – Ihr wart der Hammer!!!

 

Leute – klickt Euch rein … die Homepage des „Jungen Ensembles Stuttgart“:

https://www.jes-stuttgart.de/spielplan/detail/girls-boys-love-cash/

 

Und hier die Page des „Citizen.Kane.Kollektivs“:

http://www.citizenkane.de/PERFORMANCES/GIRLS-BOYS-LOVE-CASH

PET

 

 

 

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20. Juni 2018