Friedhof statt Klassenzimmer

9. Oktober 2024

Kooperation der Arbeitsgruppe SLG mit der Helene-Weber-Schule in Bad Saulgau

 „Aus dem Grau der Kriegszeit – Geschichten hinter der Geschichte“ ist der Titel einer Trilogie, die die Arbeitsgruppe „SLG – Spuren Lebendig Gemacht“ herausgebracht hat. Zeitzeugen, deren Wege sich in Bad Saulgau und Umgebung kreuzten, erzählen darin die Geschichten ihrer Familien. Sie blicken zurück auf ihre Kindheit und Jugend in Kriegszeiten, auf Verlust, Vertreibung und Alltag im Krieg. Eine dieser Geschichten steht in sehr enger Verbindung mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.

Gruppenfoto mit Wolfgang Schneiderhahn

Anton Franz Schmid, der Großonkel der Bad Saulgauerin Conny Scheck, war gerade mal 25 Jahre alt, als sein Flugzeug nachts mit einer anderen deutschen Kampfmaschine über den Niederlanden zusammenstieß. Er kam mit der ganzen Besatzung zu Tode, doch die sterblichen Überreste wurden nicht gefunden. Das änderte sich 2019, als man die Überreste der Maschinen entdeckte. Der Niederländer Douwe Visser und weitere Männer aus der Region recherchierten über Jahre und gingen auf Spurensuche zur Geschichte der Familie Schmid. Sie wurden im Stadtarchiv in Bad Saulgau fündig. Anton und seinen Kameraden fanden 2019 ihre letzte Ruhestätte auf dem deutschen Soldatenfriedhof in Ysselsteyn.

Ziel der einwöchigen Reise ist die Kriegsgräberstätte Ysselsteyn in den Niederlanden. Verstehen, was damals passiert ist, und lernen, warum das auch heute noch wichtig ist – wird zum Leitsatz der Projektwoche. Die Reise wird begleitet vom Leiter des Seminarkurses der Helene-Weber-Schule und Mitgliedern der Arbeitsgruppe SLG. 

In Ysselsteyn haben über 32 000 Kriegstote ihre letzte Ruhestätte gefunden. Untergebracht wird die Gruppe in den Bungalows der Jugendbegegnungs- und Bildungsstätte des Volksbundes in unmittelbarer Nähe zum Friedhof. 

Im Mittelpunkt der Bildungsarbeit steht das Schicksal der Kriegstoten. Auf dem Friedhof in Ysselsteyn liegen sehr viele junge Soldaten, die im letzten Kriegsjahr gefallen sind. Jedes einzelne Grab steht für die Geschichte und das Schicksal einer ganzen Familie und veranschaulicht so eindringlich die Folgen von Krieg und Gewaltherrschaft. So auch das Grab von Anton Franz Schmid, das eine ganz besondere Rolle in diesem Projekt einnimmt. 

In der 2021 eröffneten Multimedia-Ausstellung im Besucherzentrum erhalten die Jugendlichen mehr Hintergrundinformationen der Kriegsgräberstätte im deutsch-niederländischen Kontext. Hier finden die geplanten Workshops und Seminare statt, die nicht nur geschichtliche Themen zum Inhalt haben, sondern auch ganz aktuelle Bezüge zur Lebensrealität junger Menschen herstellen. In der Freizeit haben sie auf dem Gelände viele Möglichkeiten, gemeinsam Zeit zu verbringen und die Umgebung typisch niederländisch mit dem Fahrrad zu erkunden.

Treffen mit Wolfgang Schneiderhan

Wolfgang Schneiderhan als Präsident des Volksbundes liegt dieses Projekt in seiner Heimatstadt besonders am Herzen. Vor den interessierten Schülerinnen und Schülern berichtete er von dem internationalen und vielfältigen Aufgabenfeld des Volksbundes im internationalen Kontext. Die Bedeutung des Kriegsgrabes als Lernort, die aktuelle Situation beim Volksbund nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine und die Zukunft der Kriegsgräberfürsorge waren spannende Themen, die die Jugendlichen sehr beeindruckten.  Herr Schneiderhan dankte allen Anwesenden für ihr Engagement. 

Eine Botschaft ist Herrn Schneiderhan besonders wichtig: „Kriege brechen nicht einfach aus, sie werden von Menschen geplant und herbeigeführt“. Hier setzt die Bildungsarbeit des Volksbundes an, die junge Menschen an Kriegsgräber zusammenbringt, damit sie sich austauschen, neue Perspektiven kennenlernen und erkennen, dass es kein Selbstverständnis ist, in Frieden zu leben.

Hintergrundinformation Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. ist eine humanitäre Organisation, die sich im Auftrag der Bundesregierung dem Erfassen, der Erhaltung sowie der Pflege von Gräbern deutscher Kriegstoten im Ausland widmet. Der Volksbund betreut Angehörige in Fragen der Kriegsgräberfürsorge, er berät öffentliche und private Stellen und unterstützt die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Kriegsgräberfürsorge. In der Obhut des Volksbundes befinden sich heute 832 Kriegsgräberstätten in 46 Staaten mit etwa 2,8 Millionen Kriegstoten. Mit der Anlage und Erhaltung der Friedhöfe bewahrt der Volksbund das Gedenken an die Kriegstoten auf der Grundlage des humanitären Völkerrechts. Kriegsgräberfürsorge und Erinnerungskultur stehen immer in internationalem Kontext.

Zu den vielseitigen Aufgaben des Volksbunds gehört seit 1953 auch die Jugend- und Schularbeit. Unter dem Motto „Gemeinsam für den Frieden“ finden jährlich internationale Jugendbegegnungen, Workcamps und Schulprojekte in Deutschland und europaweit statt. Mit ihrer Arbeit auf dem Friedhof tragen die Jugendlichen dazu bei, die Gräber der Kriegstoten als Mahnmale für den Frieden zu erhalten. Mit pädagogischen Modulen und Workshops entdecken sie Kriegsgräberstätten aktiv als Lernorte, beschäftigen sich mit Biografien von Kriegstoten und besuchen Gedenkstätten. In unserer Bildungsarbeit vermitteln wir die Werte von Menschenrechten, Demokratie und Frieden und setzen uns mit Extremismus, Nationalismus und Rassismus auseinander.

Wir tragen dazu bei, dass junge Menschen Erinnerungskultur aktiv mitgestalten. Sie erhalten so Raum für verantwortliche Mitwirkung und erkennen, wie wichtig gesellschaftliches Engagement ist.

Junge Menschen lernen aus der Vergangenheit für die gemeinsame Zukunft in einem friedvollen Europa. 

BAR

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9. Oktober 2024